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miTTeN AuS Dem LebeN
Spielplatz Natur
„Wann wird’s mal wieder rich- Margeriten und Knöterich, den spaßigen Wettstreit des „Kirsch-
tig Sommer?“, fragt Rudi Car- wir wegen seines walzenförmigen kernweitspuckens“ austrugen,
rell in seinem Liedtext aus den Blütenstandes auch „Zahnbürste“ erfanden wir unter dem raunen-
60er Jahren. Er träumt von einem nannten. Besonders angetan den Blätterdach einer mächtigen
Sommer mit Hitze von Juni bis hatten es uns die strahlend wei- Eiche phantasievolle Geschichten
September, so wie er früher ein- ßen Margeriten, im Volksmund von Zwergen, Elfen und Hexen.
mal war. Wie war in unserer auch „Orakelblume“ genannt, Selbst dem strömenden Regen
Erinnerung denn der Sommer deren Blütenblätter wir mit den konnten wir noch etwas Positives
früher? Diese Frage wird durch Worten zupften: „Er liebt mich, abgewinnen und tollten voll Über-
eigene Erfahrung sicher sehr er liebt mich nicht …“, und wir mut in Wasserpfützen herum.
unterschiedlich beantwortet. beobachteten mit Interesse, wie Sicher neigen wir dazu, unsere
In meiner Erinnerung waren die Schwalben im Tieffl ug über dem Kindheitserlebnisse oft etwas ver-
Sommer auf dem Land interes- nahen Bachbett Insekten jagten. klärter zu sehen, aber es ist ein
sant und abwechslungsreich, und Diese „Wiesensitzungen“ Leichtes, sich durch sie innerlich
das Wetter hatte nur wenig Ein- fanden manchmal durch die für kurze Zeit um Jahrzehnte ver-
fl uss auf diese Bewertung. Für uns unliebsame Begegnung mit Amei- jüngt zu fühlen. Anstatt über Wet-
war die Natur einfach das aller- sen ein jähes Ende, und nach terkapriolen zu nörgeln, könnten
schönste „Spielzimmer“. Mit Ver- solch juckender Attacke such- wir doch einfach die Sichtweise
gnügen lagen wir im hohen Gras ten wir schnell das kühlende ändern und uns als Seelentrös-
und versuchten, unsere Lieblings- Wasser des nahen Baches auf. ter an all die sinnlichen Genüsse
tiere oder Märchenfi guren in den Während wir beim Genuss der erinnern, die wir als Kinder im
Wolkenformationen zu entdecken. süßen Früchte des Kirschbaums in Sommer so geliebt haben.
Wir fühlten uns wohl zwischen unserem Garten gleichzeitig den ursula Hofmann
Spielkameraden
Beim Durchblättern alter Fotos ent- der Filme eine Dunkelkammer
deckte ich ein Bild, das mich an braucht, die er mir dann auch zeigte
meine Kindheit erinnerte. Meine und erklärte. Ich fand das sehr span-
Eltern und ich wohnten damals in nend und vielleicht wurde da schon
einer Gegend ohne Kinder, so dass in mir der Grundstein für meinen
ich keine Spielkameraden hatte. späteren Beruf der Fotografi n gelegt.
Doch das änderte sich, als eines Wir Kinder hatten ein sorgenfreies Foto: Barbara Rüth
Tages ein Möbelauto vor dem Nach- Leben und konnten unser Kindsein
barhaus hielt und eine Familie mit genießen. Doch einmal sind wir
zwei Jungen, Peter und Klaus, ein- erheblich zu weit gegangen. Wir Nachbarin uns beobachtet hatte, hat
zog. Wir waren schnell miteinander haben beim Indianerspiel einen gro- auch sie uns nicht verraten. Leider
bekannt und haben uns sofort gut ßen starken Baum gefällt. Zum ging diese Idylle mit zunehmendem
verstanden. Der Vater der beiden Glück fi el er auf die richtige Seite, Alter zu Ende. Aber die Erinnerun-
hatte künstlerische Talente. Er malte sodass niemand zu Schaden kam. gen an diese wunderschöne Zeit
und fotografi erte. Beim Malen habe Wie gefährlich unser Unternehmen sind mir geblieben.
ich oft zugeschaut. Es faszinierte war, darüber machten wir uns keine
mich, wie aus wenigen Pinselstri- Gedanken. Wir wussten nur, dass
chen ein Bild wurde. Ich quälte ihn unsere Eltern das nie erfahren durf-
solange, bis er mir ein kleines Bild ten, deshalb schworen wir bei unse-
von unserem Haus malte, das ich rem Indianer-Ehrenwort,
heute noch besitze. Durch ihn lernte niemandem von unserem Tun zu
ich auch, dass man zum Entwickeln erzählen. Und obwohl eine andere barbara Rüth
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