Page 16 - Jahresringe 116
P. 16
LESERFORUM
Jammern
Die Katze
Für unsere hausinterne Ich schrieb an meinem
Liebe Redaktion der Jahresringe, Zeitung war ich unlängst Buch: „Altersheim – oh
als ich, vertieft in meine wöchentliche Bügelar- gebeten worden, mei- weia“ weiter, ich intensi-
beit, mal kurz vom Bügelbrett weg zum Fenster nen Alltag während der vierte Kontakte mit ural-
hinausblickte, hatte ich ein erschütterndes Erleb- Corona-Krise zu schildern: ten Freunden und hegte
nis. Lesen Sie die Story in beiliegendem Gedicht. „Dass ich das noch erle- und pfl egte sie aufs Neue.
ben muss!“, so jammerte Ich lese sehr viel und vor
meine Großmutter anläss- allem, wenn das Wetter
Mein Kätzchen schaut brav wie ein Lämmchen, lich ihres 90. Geburtsta- es zulässt, verbringe ich
sitzt zierlich da wie ein Madämchen, ges im Jahre 1944 (letztes die Nachmittage mit Spa-
als trüge es Rokokoplüsch, Kriegsjahr), als ich für drei zierengehen (immerhin
hätt´ da ne Schleif’ und dort ne Rüsch’. Tage Sonderurlaub bekam eine Strecke von mehr als
aus meiner Kriegsdienstver- einem Kilometer), Sonnen-
pfl ichtung in einer Muni- baden, Lesen, Beobachten
Zeigt Sanftmut auf die stolze Tour,
tionsanstalt, um mit ihr von Milanen, Schwalben
anmutig wie die Pompadour. und endlich einmal wieder und Schmetterlingen, sehe
Ei, horch, was huscht da kreuz und quer? mit meiner Familie zusam- manchmal nicht einen
Zwei Ohren spielen hin und her. men feiern zu können. Kondensstreifen am Him-
Tja, und genauso mel, im Gegensatz zu
Ein Körper streckt sich sehnig aus, jammere ich heute als früher. Ich tue alles, nur
jetzt wird ne echte Katze draus. 95-jährige. Hat doch ein einkaufen gehe ich nicht.
Ich will nicht ausgerech-
Corona-Virus (ein böses
Zwei Augen funkeln, Hals gereckt, Ding mit zahlreichen Knol- net diejenige sein, die den
die Zunge kurz zur Schnauze leckt, lennasen) die gesamte Virus hier ins Altenheim
von Niedlichkeit nicht mehr die Spur, Welt fest im Griff. Wie schleppt. Es klappt mit
das Raubtier giert und lauert nur. hätten wir doch weiterhin etwas Gedankenaktivie-
unser Restleben genie- rung ja auch so. Schwere
ßen können mit Sitz-Tanz, Einkäufe erledigt eine
Ein Satz – man kann’s so schnell kaum sehn
Sitz-Gymnastik, Gedächt- meiner Töchter alle 14
und um die Amsel ist´s geschehn. – nistraining, Singen, Spielen Tage. Die „leichten“ zwi-
Was dann kommt, möchte‘ ich gern verschweigen, und Basteln und darüber schendurch werden mit
voll Trauer muss ich dem mich beugen. hinaus noch Konzerte und Hilfe eines Eimers und
Theater erleben können, einer starken Kordel bis in
Die Katze quält den Vogel tot, die in Dierdorf dank der den 2. Stock hochgehievt,
bereitet sich ihr Abendbrot. zahlreichen Schulen ab zum Gaudi aller, die die-
ses Spektakel beobach-
und an ermöglicht werden.
Und als sie ihn dann halb gefressen, Stattdessen sitzt man ten. So ganz ab und an
tut sie, als sei da nichts gewesen. doof rum – oder auch erbarmt sich ein „Künstler“
nicht. Ich habe mir nerv- und unterhält uns eine
Die reine Unschuld ist ihr Blick, tötende Putzarbeiten halbe Stunde lang mit
sie leckt ihr Fell vor und zurück. vorgenommen, die ganz Gesang zur Gitarre, zur
nebenbei dringend erfor- Quetschkommode oder
Dann sitzt voll Liebreiz wie zuvor
derlich waren. Ich habe zur Musik von Tonträgern.
mein Kätzchen da und putzt sein Ohr. Hosen enger und Röcke Obwohl ich weiß, dass
Das Köpfchen neigt es leicht zur Seit’ weitergemacht, ich habe es längst nicht allen Mit-
in makelloser Sittsamkeit. mindestens 50 Masken bewohnern so gut gehen
genäht, ich war in Urlaub, kann wie mir, sage ich
Ruth Diesterweg, Leserin indem ich mir zahlreiche trotzdem: „Kopf hoch und
Fotoalben noch einmal den Lesern alles Gute.“
intensiv angesehen habe. L. schanz-kirst, Leserin
16
16