Professor wirbt in Montabaur eindringlich für Gerechtigkeit

Forum Wirtschaftsethik: Christian Thielscher zeichnet düstere Zukunftsbilder und hoffnungsvolle „Gegengewichte“

Das „Forum Wirtschaftsethik - Zukunft braucht Werte“ hat sich Großes vorgenommen: Dieses Jahr widmet sich die Veranstaltung der Gerechtigkeit. Einem universellen Thema, zu dem es viele Theorien und Auffassungen gibt. Der Referent des Abends, der Wirtschaftswissenschaftler und Arzt Professor Dr. Christian Thielscher, stellt den 80 Gästen im Montabaurer Forum St. Peter einige dieser Theorien vor und präsentiert schließlich sein Modell von Gerechtigkeit. Eines, das es möglich machen soll, „gerecht“ und „ungerecht“ klar voneinander zu unterscheiden.

Nach der Begrüßung durch Landrat Achim Schwickert und den einleitenden Worten der Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Westerwaldkreis, Katharina Schlag, kommt der Hauptakteuer des Abends Christian Thielscher zu Wort. Der Vortrag Thielschers ist eine Vorlesung über unterschiedliche Definitionen zur Gerechtigkeit; über wirtschaftliche Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, über Erkenntnisse der Verhaltens- und Hirnforschung. Kurz: ein intensives Referat, der das Thema in vielen Facetten beleuchtet und den Zuhörern Aufmerksamkeit abverlangt.

Thielschers Credo: Es gibt Gerechtigkeit, und gerechtes Handeln ist angesichts einer immer stärkeren Konzentration des Kapitals bitter nötig. Schon die erste Annahme – die, dass es Gerechtigkeit gibt – ist für manche Wissenschaftler keine Selbstverständlichkeit. Ganz im Gegenteil: Für den liberalen Ökonom Friedrich August von Hayek, an dem sich Christian Thielscher in Montabaur mehrfach abarbeitet, ist Gerechtigkeit schlichtweg Aberglaube. Thielscher hält sie indes für unerlässlich. „Dass wir in einem freien, demokratischen Staat leben, ist nicht selbstverständlich, sondern ein historischer Ausnahmezustand“, sagt er und befürchtet, dass diese Staatsform mehr und mehr in Gefahr gerät: durch ein Kapital, das sich immer stärker auf immer weniger Menschen und Konzerne konzentriert. Durch Reichtum, der nicht mehr erarbeitet, sondern oft geerbt wird. Als Beispiel dieser kapitalistischen Auswüchse nennt er das Vermögen einiger Konzerne, mit dem sie künftig theoretisch in der Lage sind, ganze Länder zu kaufen. „Ich weiß nicht, ob ich in solch einer Gesellschaft leben möchte“, sagt er.

Eine Welt am Rande eines neuen Feudalismus? Ein durch Verzinsung obszön wachsendes Kapital? Die Zukunftsszenarien, die Professor Thielscher mit bedrohlich auseinanderklaffenden Graphen zeichnet, wirken düster – wenn es da nicht die Gerechtigkeit geben würde. Seiner Ansicht nach basiert Gerechtigkeit auf drei Grundsätzen, die mit drei Verhaltensregeln korrespondieren: Mit dem Bedarf, der Leistung und dem Vertrag. Gerecht handelt also die- oder derjenige, der auf den Bedarf der Menschen eingeht. Das betrifft zum Beispiel die Medizin, die schaut, ob jemand in Not ist. Mit Leistung meint er unter anderem die Bereiche Sport, Rechtswesen und Bildung. Diejenigen, die viel leisten, sollen viel dafür bekommen – oder gerecht bestraft werden, wenn sie sich Dinge zu Schulden kommen lassen. „Vertrag“ beschreibt den Bereich der Wirtschaft, in dem das verlässliche Einhalten von Vereinbarungen zählt.

Was dieses Modell zeigt: In unserer Welt und unserer Gesellschaft geht es mitnichten überall gerecht zu. Etwa dann, wenn weibliche Spitzensportlerinnen weniger Geld für ihre Leistungen bekommen als männliche. Oder wenn schöne Straftäter erwiesenermaßen milder bestraft werden als hässliche.

Solche Dinge empfinden Menschen als ungerecht. Und dass wir so empfinden, erklärt Professor Thielscher anhand Untersuchungen aus der Hirnforschung, die zeigen, dass bei gerechten Handlungen bestimmte Hirnregionen aktiviert werden. „Gerechtigkeit ist also kein Hokuspokus, sondern tief in uns verwurzelt“, fasst er zusammen.

Am Ende bleibt die Frage, was die Gäste von diesem Abend mitnehmen. Eine allgemeingültige Antwort gibt Christian Thielscher darauf nicht. Eher grundsätzliche Empfehlungen: Es brauche Gegengewichte zum ausufernden Kapitalismus, etwa mehr Aufklärung über wirtschaftliche Entwicklungen und deren Gefahren. Kleine und mittlere Unternehmen müssten gestärkt werden, und letzten Endes seien auch höhere Steuersätze für große Vermögen nötig, findet der Wissenschaftler: „Wir brauchen ein besseres Bildungssystem, damit die Leute verstehen, wie Wirtschaft funktioniert“, sagt er. „Die breite Mittelschicht muss wieder darüber entscheiden und dafür streiten, wie unser Zusammenleben auszusehen hat.“

Professor Dr. Christian Thielscher streitet jedenfalls weiter gegen die „schreiende Ungerechtigkeit“, wie er am Ende in Montabaur sagt: „Ich höre erst auf zu meckern, wenn die Altenpflegerin, die sich abrackert, zu den 10.000 reichsten Menschen der Welt gehört.“ (Bon)

Das Forum Wirtschaftsethik ist ein gemeinsames Angebot des Evangelischen Dekanats Westerwald, der Katholischen Erwachsenenbildung Westerwald-Rhein-Lahn, der Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald, der IHK Koblenz-Geschäftsstelle Montabaur und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Westerwaldkreis.

Fotos: Evangelisches Dekanat Westerwald / Peter Bongard

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