Ausstellung im Keramikmuseum:

Wendelin Stahl zum 100.

Einer der herausragendsten Keramiker aus Höhr-Grenzhausen in der Nachkriegszeit war Wendelin Stahl. Bereits seine Großeltern Jakob (1862-1934) und Johanette Stahl betrieben in Höhr eine sogenannte „Büssjes-Eulerei“, eine Töpferei, die sich auf Salbentöpfchen und andere Kleinprodukte spezialisiert hatte. Ihr zweiter Sohn Wendelin sr. (1888-1954) galt im Ort als unangefochtener Meister des „vom-Stoß-Drehens“, bei dem man von der Spitze eines größeren Tonkegels kontinuierlich kleinste Gefäße formt.

Der älteste Sohn von Wendelin sr., Rudi (1918-1987), gründete nach dem Krieg seine eigene Kunsttöpferei, in der auch sein Vater mitwirkte. 1941 wurde er zum Obermeister der Töpferinnung Rheinland-Pfalz ernannt. Wendelin jr. (1922-2000) hatte, wie sein Bruder zuvor, 1938 eine Ausbildung in der Firma Kunow & Drossé angetreten. Der Achtzehnjährige wurde ein Jahr später als Soldat eingezogen und konnte erst nach dem Krieg seine Ausbildung, nun im Familienbetrieb, fortsetzen. Die Meisterprüfung legte er 1955 ab.

Wendelin Stahl lernte in der Töpferei seines Bruders die Künstlerin Else Harney (1919-1984) aus Wuppertal kennen. Die eigensinnige Konsulstochter, die rauchend und mit großen Hüten im offenen Wagen fahrend einen nachhaltigen Eindruck in Höhr hinterließ, hatte eine Burg in Klotten an der Mosel geerbt. Hier ließen sich die Beiden 1952 nieder, um zunächst eine Werkstatt für Gebrauchsware zu betreiben.

Wie viele andere Töpfer in der westdeutschen Nachkriegszeit, verabschiedeten sich Harney und Stahl langsam von der Serienproduktion und fingen an, Unikate herzustellen, die unter Sammlern rasch auf große Aufmerksamkeit stießen. Für ihre herausragenden Ergebnisse wurden Beide international mit Preisen geehrt. Es wurden keine Lehrlinge mehr angenommen. Nun folgten ausgewählte Schüler, die sich vom Meister in der Herstellung guter Formen und Glasuren unterrichten ließen. Stahl konstruierte einen holzbefeuerten Ofen, der den Gefäßen ihr unverwechselbares Farbenspiel verlieh, was gleichzeitig auch ein extra Wagnis in der Herstellung bedeutete.

Wendelin Stahl scheute jedoch nicht vor technischen und gestalterischen Herausforderungen zurück. Auf seine souverän gedrehten Gefäße trug er mehrere Schichten höchstaufwändiger Glasuren auf, die erst nach einem reduzierenden Brand ihre bezaubernde Schönheit entfalteten. Seine „Pötte“, wie er selbst gerne zu sagen pflegte, sind ein leuchtendes Beispiel für die handwerklich vollendete Gefäßkeramik, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westdeutschland zelebriert wurde. Die im Westerwald um 1900 angefangener Forschung und Verwendung ostasiatischer Steinzeugglasuren gipfelte in den mächtigen Vasen und Schalen Stahls, die in der Abgeschiedenheit der Burg Coraidelstein entstanden.

Denn der souveräne Meister wohnte wortwörtlich oben. Das freie Leben auf der Burg im Einklang mit der Natur war die Quelle seines künstlerischen Schaffens. Schüler und Sammler pilgerten hinauf und wurden dort von einem löwenartigen Hund, einer Ziege, einigen Pfauen sowie von dem Burgherrn und seiner „Madame“ empfangen. Nach Else Harneys Tod führte Stahl die Werkstatt weiter, in den letzten Jahren liebevoll von seiner späteren Lebensgefährtin und ehemaligen Schülerin Ayca Riedinger (1941-2021) versorgt. Die Objekte aus ihrem Besitz, die der Freundeskreis des Keramikmuseums im letzten Jahr ankaufen konnte, sind hier nun zusammen mit weiteren Werken aus der hauseigenen Sammlung zu sehen.

Foto: Helge Articus

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